Herzogtum Nassau: Details
Von Dr. Katrin Wülfing
Verfassungsrechtliche Grundlagen
Nach der Niederlage Kaiser Napoléons I. berieten die Staaten Europas 1814/15 auf dem Wiener Kongress über die künftige politische und territoriale Gestaltung Europas. Dem Deutschen Bund, einem Zusammenschluss aus 35 souveränen Fürstentümern, vier Freien Städten und den Großmächten Österreich und Preußen, gehörte auch das Herzogtum Nassau an. An Letzterem gingen die territorialen Veränderungen Europas keinesfalls spurlos vorüber; es büßte Siegen und seine linksrheinischen Gebiete im Saarland und in der Pfalz ein, konnte jedoch das jahrhundertelang zersplitterte nassauische Kernland zwischen Rhein, Main, Lahn und Dill als geschlossenes staatliches Gebilde hinzugewinnen und damit insgesamt gestärkt aus den Neugliederungen hervorgehen.1
Bereits 1814 erhielt Nassau – als erster Staat im Deutschen Bund – eine recht moderne und fortschrittliche Verfassung, die bis zur Revolution von 1848 die Grundlage für das Zusammentreten der Landstände bildete.2 Via Edikt hatten Herzog Friedrich August von Nassau-Usingen und Fürst Friedrich Wilhelm von Nassau-Weilburg, die das Herzogtum seit 1806 gemeinsam regierten, Anfang September 1814 verkündet, den Bürgern mehr Rechte zuzusprechen. Das Recht auf Eigentum und persönliche Freiheit, der Schutz vor Verhaftungen und Presse- und Petitionsfreiheiten sowie die Modernisierung der Verwaltung und Finanzen waren teilweise schon vor Verkündung der Verfassung umgesetzt worden, erhielten nun aber allgemeine Gültigkeit und wurden ausgeweitet. Reformen erstreckten sich nicht nur auf den administrativen und rechtlichen Bereich, auch das Bildungswesen und der kirchliche Bereich wurden reformiert.3
So weitreichend und einzigartig die liberalen Grundsätze im Herzogtum Nassau auch waren und so mustergütig modern die Verfassung war, zweierlei relativiert diesen Eindruck: Erstens handelte es sich bei der Verfassung nicht um einen auf Augenhöhe geschlossenen Vertrag zwischen Volk und Monarchen; die Bürger waren in die Beratungen über die Verfassungsgrundsätze nicht einbezogen worden, eine verfassungsgebende Versammlung hatte sie nicht beschlossen. Die gemäß Verfassung zugesicherten Bürgerrechte wurden auf diese Weise nicht als selbstverständliche Rechte des Volkes anerkannt, sondern erschienen als vom Monarchen gewährte Privilegien.4 Zweitens bestanden für die Bürger keine Möglichkeiten politischer Teilhabe, sprich: eine landständische Vertretung kannte das Herzogtum nicht. Dies lag einerseits in der kleinteiligen Struktur des nun zum Herzogtum Nassau zusammengefassten Gebietes begründet und ist andererseits mit der in Nassau fehlenden Adelsklasse zu erklären, die bis dato nicht in politische Entscheidungsprozesse eingebunden werden musste.5 Entsprechend schwach war die Stellung des Landtags in der Verfassung verankert und mit stark ausgeprägten Kompetenzen des Monarchen zusätzlich beschränkt worden.6
Zusammensetzung des Zwei-Kammer-Parlaments
Die Nassauer Verfassung sah ein Zwei-Kammer-Parlament vor: Herrenbank und Landesdepurtierte. Die Herrenbank war die Vertretung des Adels. Ihr gehörten, dies sah eine Verordnung von November 1815 vor, die Prinzen des Hauses Nassau (nach vollendetem 21. Lebensjahr), die Oberhäupter der mediatisierten Familien und die Standesherren an. Sechs Mitglieder der adeligen Gutseigentümer kamen hinzu, die gewählt wurden. Wahlrecht und Wählbarkeit waren an Grundsteuerleistungen gebunden. Die Erste Kammer hatte zunächst elf Mitglieder, ab November 1815 17 Mitglieder.7
Die Versammlung der Landesdeputierten wurde ebenfalls nicht aus dem Volk gewählt, sondern setzte sich aus verschiedenen Berufsständen und Einkommensgruppen zusammen. Hierzu zählten vier Vertreter der Kirchen und höheren Lehranstalten, drei Deputierte aus dem Kreis der höchstbesteuerten Gewerbetreibenden und sechzehn Vertreter der höchstbesteuerten Grundeigentümer. Gewählt wurde indirekt und auf sieben Jahre.8
Anhand der Auswahl der Deputierten zeigt sich, dass es sich bei den mit Verfassungsedikt geschaffenen Landständen um keine gleichberechtigte Volksvertretung im heutigen Sinne handelte; nur ein sehr kleiner Teil der nassauischen Bürger konnte überhaupt Einfluss auf die Wahl der Volksvertreter nehmen, weil die Wahl an extrem hohe Steuersätze gebunden war. Nur wer sehr wohlhabend, männlich, über 25 Jahre alt, zahlungsfähig und nicht vorbestraft war, wurde zur Wahl zugelassen. Winfried Schüler geht davon aus, dass bei den zwischen 1818 und 1846 durchgeführten Wahlen durchschnittlich nur etwa 2 % aller volljährigen männlichen Einwohner das aktive Wahlrecht besaßen.9
Beide Kammern repräsentierten also letztlich nur die gesellschaftliche Elite Nassaus, nicht die Mehrheit der Bevölkerung.
Kompetenzen und Arbeit der Landständischen Vertretung
Zu den Kompetenzen der Landstände gehörten die Kontrolle über die Justiz, die Sicherheit des Eigentums und der Schutz der persönlichen Freiheitsrechte. Die Aufnahme dieser Schutzrechte in die Verfassung ging auf die Initiative des Freiherrn von Stein zurück, der sich zudem dafür einsetzte, ein Gesetzbewilligungsrecht, Petitions- und Beschwerderechte und die Möglichkeit zur Ministeranklage in das Regelwerk zu integrieren.10 Die wichtigsten Rechte der Landstände bestanden in der Haushaltsfestsetzung und Steuerbewilligung.11
Trotz dieser insgesamt sehr fortschrittlichen Regelungen waren die Kompetenzen der Landständischen Vertretung gering. Dies zeigt sich insbesondere mit Blick auf die Handlungsspielräume von Monarchen und Regierung: Das Parlament konnte ohne herzogliche Einladung nicht zusammentreten. Der Herzog war lediglich dazu verpflichtet, die Kammern jährlich einmal zwischen Januar und April einzuberufen. Ihm oblag es zudem, weitere Sitzungstermine anzusetzen. Zudem entschied er über die Ernennung des Präsidenten beider Kammern, die lediglich drei Kandidaten vorschlagen durften. Er selbst wiederum konnte die Vorgeschlagenen so lange ablehnen, bis die Auswahl seinen Vorstellungen entsprach.12 Auch in der parlamentarischen Praxis waren die Rechte von Regierung und Monarchen ausgeprägt: Herzog und Regierung wurden durch Regierungskommissare vertreten, die an den Sitzungen der Landständischen Vertretung teilnahmen und währenddessen jederzeit das Wort ergreifen oder die Sitzung unterbrechen durften. Der Herzog konnte zudem die Auflösung der Ständeversammlung veranlassen. Betrachtet man die Kompetenzen bei der Verabschiedung von Gesetzen, fällt auch hier auf, dass die Initiative zur Einbringung von Gesetzen beim Herzog und seiner Regierung lag; die beiden Kammern verfügten lediglich über ein Vorschlagsrecht.13
Einberufung der Landstände
Gemäß Verfassung sollten die Stände bereits im Frühjahr 1815 einberufen werden, jedoch verzögerte sich dies aus verschiedenen Gründen: Ein kompliziertes Zensuswahlrecht machte die Erstellung von Wählerlisten aufwändig (wobei die territorialen Umstrukturierungen darauf zusätzlich hinderlich wirkten), ein Regentenwechsel vollzog sich und zuletzt spielte sicherlich auch die Tatsache, dass Reformen und Haushalte leichter ohne die Hinzuziehung der Landstände zu verabschieden waren, eine Rolle bei den Verzögerungen.14 Folge war, dass zahlreiche Gesetze, für die gemäß Verfassung eigentlich die Zustimmung der Landstände erforderlich war, ohne ihre Einbeziehung verabschiedet wurden. Trotz Protestes der Landstände, angeführt vom Freiherr vom Stein, wurden sie erstmals 1818 einberufen.15
Die – mit Ausnahme von 1835 – jährlich im Frühjahr einberufenen Landtagssessionen dauerten zunächst durchschnittlich maximal sechs, in den 1840er-Jahren zwischen neun und elf Wochen. Um eine Sitzung zu beenden, war die Genehmigung der Deputiertenkammer erforderlich. Diese konnte zudem von sich aus eine Vertagung beschließen, jedoch durfte diese nicht länger als acht Tage dauern.16
Bei den Debatten in der Deputiertenkammer hatte jeder Abgeordnete lediglich das Recht, einmal im Plenum zu sprechen, während die Regierungsvertreter jederzeit das Wort ergreifen durften. Zudem drohte der Kammer stets die Auflösung oder Vertagung, sofern sich die Entwicklung der Sitzung zum Missfallen des Herzogs gestaltete.17 Selbstständigem politischen Denken sollte in der Landtagssitzungen kein Spielraum gegeben werden: Aus diesen Gründen ist es nicht verwunderlich, dass die Abgeordneten eine zurückhaltende Haltung einnahmen. Von Seiten des Monarchen und der Regierung wurden die Mitwirkungsrechte der Landesrepräsentation zudem immer wieder unterlaufen; Edikte und Verordnungen wurden erlassen, um die Kompetenzen der Abgeordneten im Gesetzgebungsverfahren auszuhöhlen und ihre Zuständigkeit zu umgehen.18
Reformierung der Landstände
Wenngleich Herzog und Regierung während des Vormärz ihre überlegene Position behaupten konnten und der nassauische Landtag in seinen Handlungsspielräumen stark beschränkt war, nahm er dennoch eine nicht unbedeutende Rolle als „Kristallisationspunkt der öffentlichen Meinung“,19 als Anreger von Diskussionen und auch als Kontrollorgan gegenüber dem Monarchen und der Regierung wahr.20 Mit der französischen Julirevolution 1830/31 und dem Erstarken liberaler Bewegungen in ganz Europa konnte er diese Rolle zunehmen ausfüllen. Zudem veränderte sich auch das Selbstbewusstsein der nassauischen Abgeordneten, die ihre Mitgestaltungsmöglichkeiten nun deutlich intensiver ausfüllten. Auch der so genannte „Domänenstreit“, der den Landtag immer wieder beschäftigte, trug dazu bei, dass sich in der Deputiertenkammer eine Opposition herausbildete.21 Und diese wiederum fand durchaus Rückhalt in der Bevölkerung.
Als, ausgehend von Frankreich, Anfang 1848 eine erneute Revolutionswelle Europa erfasste und zu zahlreichen Unruhen, Kämpfen und Kundgebungen führte, artikulierten sich auch in Nassau so genannte Märzforderungen. Die „Neun Forderungen der Nassauer“, am 4. März 1848 an den Herzog gerichtet, verlangten die Einberufung eines gesamtdeutschen nationalen Parlaments, Freiheitsrechten wie Meinungs- und Versammlungsfreiheit sowie freien Wahlen.22 Der bisherige Landtag mit seinen altständischen Elementen wurde als nicht zu vereinbaren mit den geforderten Reformen angesehen. Das am 5. April 1848 verabschiedete Wahlgesetz bildete die rechtliche Grundlage für seine Erneuerung. Es sah – wie auch das von der Pauluskirchenversammlung verabschiedete Wahlrecht – ein allgemeines, zensusfreies und indirektes Wahlrecht vor, das mit einem geheimen und schriftlichen Verfahren durchgeführt werden sollte. Das bisher praktizierte Zwei-Kammer-System sollte abgeschafft und durch die Ständeversammlung ersetzt werden. Gewählt wurde über Wahlmänner (ein Wahlmann pro 100 Einwohner) in 14 Wahlbezirken, die jeweils zwei Ämter umfassten. Je 9.600 Einwohnern wurde ein Abgeordneter gewählt, so dass insgesamt vier Wahlbezirke mit zwei Abgeordneten, sieben Wahlbezirke mit drei Abgeordneten und drei Wahlkreise mit vier Abgeordneten entstanden. Für die Wahl eines Deputierten war die absolute Mehrheit der Stimmen erforderlich.23
Im April 1848 erfolgten die Wahlen zum Landtag nach neuem Wahlgesetz aber unter Nutzung der alten Gemeindeordnung von 1816, die Neue wurde erst im Dezember 1848 verabschiedet. Seine erste wichtige Entscheidung bestand in der Verabschiedung einer Interimsverfassung, der so genannten „Staatsrechtlichen Zusammenstellung“,24 es folgten weitere wichtige Reformgesetze, die die Märzforderungen aufgriffen: Schwurgerichte wurden eingerichtet, ein neues Strafgesetz eingeführt, das Steuerwesen neu geordnet und auf Ämterebene eine Trennung von Justiz und Verwaltung vorgenommen. Nassau entwickelte sich auf diese Weise zu einer konstitutionellen Monarchie mit zentralen Elementen eines wesentlichen Rechtsstaates: Einem starken Herzog als Exekutive, dem frei gewählten Parlament als Legislative und den unabhängigen Gerichten als Judikative.25
Politisierung der Öffentlichkeit
Auf Basis der bis dato unbekannten Freiheitsrechte bildete sich in Nassau nun erstmalig eine politische Öffentlichkeit heraus. Zeitungen und Vereine gründeten sich, öffentliche Diskussionen, bei denen die Abgeordneten der Landstände eine führende Rolle einnahmen, entzündeten sich über regionale und nationale Themen.26 Zudem bildeten sich politische Gruppierungen, die sich anlässlich der Wahlen zum nassauischen Landtag und zur Frankfurter Nationalversammlung organisierten. Sie bezeichneten sich als politische Vereine, legten ein Programm und eine Satzung fest, trafen sich regelmäßig und entwickelten eine Pressearbeit. Ihr Ziel war es, die öffentliche Meinung zu prägen und damit Einfluss auf die Zusammensetzung des Parlamentes zu nehmen.27 Wenngleich diese frühen Zusammenschlüsse nicht zu vergleichen sind mit dem, was heute unter Fraktionen verstanden wird, so weisen die politischen Vereine der Revolutionszeit doch zahlreiche Merkmale politischer Parteien auf. Diese waren zwar außerparlamentarisch organisiert, aber dadurch, dass sich viele Abgeordnete den Vereinen anschlossen, an ihren Diskussionen mitwirkten und sie forcierten, kann davon ausgegangen werden, dass auch das Abstimmungsverhalten der Abgeordneten im Landtag von den politischen Vereinen beeinflusst wurde.28
Folgen der Reaktionszeit für die Landstände
Die mit der Paulskirchenversammlung in Zusammenhang gebrachten Hoffnungen auf eine weitgehende Liberalisierung von Gesellschaft und Politik zerschlugen sich schnell. Die Revolution schwächte sich ab, während reaktionäre Kräfte zunehmend an Bedeutung gewannen. In zwei Edikten vom 27. September und 25. November 1851 hob der Herzog Adolph I. die Interimsverfassung auf und setzte die Verfassung von 1814 wieder in Kraft. Die Landstände bestanden fortan wieder aus zwei Kammern, wobei einige Änderungen vorgenommen wurden: Die Zahl der Mitglieder der Ersten Kammer wurde erweitert – u. a. um den evangelischen und katholischen Bischof – und umfasste nun zwischen 18 und 22 Mitglieder, von denen neun gewählt wurden.29 Die Zweite Kammer hatte 24 Mitglieder, die nun – wie das Revolutionsparlament – indirekt gewählt wurden. Statt des Zensuswahlrechtes im Vormärz, das nahezu ausschließlich wohlhabende Bürger bei der Wahl berücksichtigte, trat nun ein Dreiklassenwahlrecht. Zwar bedeutete dies auf Grund der unterschiedlichen Stimmgewichtung nicht die gleichberechtigte Einbeziehung aller Wähler, aber es erweiterte den Kreis der Personen, die überhaupt wählen durften. Winfried Schüler geht davon aus, dass nun etwa 40 mal mehr (dies entspricht insgesamt 17% aller Einwohner) Bürger das Wahlrecht besaßen, als im Vormärz.30
Das Dreiklassenwahlrecht sah eine Auflistung der Wahlberechtigten eines Wahlkreises in der Reihenfolge ihrer Steuerleistung vor. Diese wurden hierbei in drei Gruppen aufgeteilt, wobei auf jede Gruppe ein Drittel des Gesamtsteueraufkommens entfiel. In der Konsequenz hatte die oberste Klasse nur wenige Wahlberechtigte, die dritte Klasse hingegen umfasste den Großteil der – nicht wohlhabenden – Bürger. Jede der drei Klassen stellte jedoch, unabhängig der Anzahl ihrer Mitglieder, die gleiche Anzahl Wahlmänner für die Abgeordnetenwahl.31 Außerdem entsandten die Mitglieder der ersten Klasse neun Wahlmitglieder in die Erste Kammer, was ihren Einfluss auf die Landtagswahlen zusätzlich erhöhte.32
Die Macht des Regenten blieb nahezu unangetastet. Er hatte bei Streitigkeiten zwischen beiden Kammern die Möglichkeit, weitgehend nach eigenem Belieben zu entscheiden. Waren sich beispielsweise beide Kammern uneinig über ein Gesetz, so stand es dem Herzog frei, einen der beiden Vorschläge umzusetzen oder ein eigenes Vorhaben auf den Weg zu bringen. Die wenigen Beschränkungen des Herzoges – etwa bei gänzlicher Ablehnung eines Gesetzes durch eine Kammer – wurden durch Sonderregelungen unterlaufen.33 Verstärkt wurde die Situation dadurch, dass die Zustimmungspflichten des Landtags nicht exakt festgelegt waren und eine Abgrenzung zwischen seinen Kompetenzen und den Kompetenzen der Regierung fehlte.34
Konflikte im Landtag
Die Bevölkerung reagierte mit Enttäuschung und Resignation auf die Entwicklungen. Doch trotz des Scheiterns der Revolution und des inzwischen etablierten reaktionären Systems vollzog sich seit Ende der 1850er-Jahre ein grundlegender Wandel im Herzogtum Nassau. Aus lockeren Zusammenschlüssen im außerparlamentarischen Bereich wuchs der Wunsch nach festeren Formen der Zusammenarbeit. Zwei größere Gruppierungen standen sich gegenüber: Konservative und Katholiken auf der einen Seite, Liberale auf der anderen.35 Erstere schlossen sich Anfang der 1860er-Jahre im „Großdeutschen Verein für Nassau“ zusammen, während Letztere die „Nassauische Fortschrittspartei“ gründeten. Von losen Organisationsformen waren diese Zusammenschlüsse weit entfernt: Sie verfügten über einen festen organisatorischen Rahmen, hatten ein politisches Programm und traten damit, oftmals sehr konfrontativ, in den Wahlkampf.36 Auch der Landtag veränderte sich. Bei ihrer ersten Zusammenkunft nach der Revolution zeigten die Abgeordneten 1852 nur ein geringes Selbstbewusstsein, das in den kommenden Jahren jedoch stetig wuchs. So war die zweite Einberufung des Landtags 1858 durch Abgeordnete geprägt, die ihre Rechte betonten, gleichzeitig jedoch die Zusammenarbeit – insbesondere in wirtschaftlichen Fragen – mit der Regierung suchten. Zugleich zeichnete sich durch Erstarken der Liberalen eine politische Konfrontation mit der Regierung ab, die 1863 anlässlich der dritten Landtagssession ihren vorläufigen Höhepunkt erreichte. Sie eskalierte in den folgenden Jahren und führte zu mehreren Landtagsauflösungen mit Neuwahlen. Verhindern konnten Herzog und Regierung das weitere Erstarken der liberalen Fortschrittspartei auf diesem Weg jedoch nicht.37
Der letzte Landtag des Herzogtums Nassau trat 1866 zusammen. Nassau, im Deutschen Krieg Verbündeter Österreichs, wurde am 18. Juli 1866 von preußischen Truppen besetzt. Mit der Annexion endete der nassauische Parlamentarismus.38
Tagungsort | Wiesbaden |
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Laufzeit | drei verschiedene Landtage: 1. Landtag (Vormärz): 1818 bis 1848; 2. Landtag (Revolution): 1848 bis 1851; 3. Landtag (Reaktion): 1851 bis 1866 |
Anzahl der Abgeordneten | 1. Landtag: 1. Kammer: 17, 2. Kammer: 23; 2. Landtag: 41; 3. Landtag: 1. Kammer: 18-22, 2. Kammer: 24 |
Ein- oder Mehrkammersystem | 1. Landtag: 2 Kammern; 2. Landtag: 1 Kammer; 3. Landtag: 2 Kammern und Ständeversammlung (bestehend aus Mitgliedern der 1. und 2. Kammer) |
Wahlsystem | 1. Landtag: ständisches Repräsentativsystem, Zensuswahlrecht; 2. Landtag: Allgemeines, zensusfreies, indirektes Wahlsystem; 3. Landtag: ständisches Repräsentativsystem, Dreiklassenwahlrecht |
- Vgl. Historische Kommission für Nassau (Bearbeiter: Volker Eichler): Nassauische Parlamentsdebatten, Bd. 1: Restauration und Vormärz, Wiesbaden 1985, S. 3.
- Vgl. ebd.
- Vgl. ebd., S. 3f.
- Vgl. Struck, Wolf-Heino: Die Gründung des Herzogtums Nassau, in: Land Hessen / Landeshauptstadt Wiesbaden (Hrsg.): Herzogtum Nassau 1806-1866, Wiesbaden 1981, S. 1-17, hier: S. 13.
- Vgl. Historische Kommission für Nassau: Parlamentsdebatten, S. 21f.
- Vgl. ebd., S. 20.
- Vgl. Struck: Gründung des Herzogtums Nassau, S. 13.
- Vgl. Lengemann, Jochen: MdL Hessen 1808-1996. Biografischer Index, Marburg 1996, S. 19.
- Dies entsprach laut Schüler etwa 1.826 Personen im Durchschnitt; vgl. Schüler, Winfried: Der nassauische Landtag der Reaktionszeit. Politischer Machtfaktor oder geduldeter Störenfried?, in: Nassauische Annalen, 115 (2004), S. 325-341, hier: S. 326.
- Vgl. Historische Kommission für Nassau (Bearbeiterin: Cornelia Rösner): Nassauische Parlamentarier, Teil 1: Der Landtag des Herzogtums Nassau 1818-1866, Wiesbaden 1997, S. IX.
- Vgl. ebd. sowie Lengemann: MdL Hessen, S. 19.
- Vgl. Historische Kommission für Nassau: Nassauische Parlamentarier, S. IX.
- Vgl. ebd.
- Vgl. Historische Kommission für Nassau: Parlamentsdebatten, S. 24f.
- Vgl. ebd., S. 25ff.
- Vgl. ebd., S. 33.
- Vgl. ebd. S. 34f.
- Vgl. Historische Kommission für Nassau: Nassauische Parlamentarier, S. XI.
- Schüler: Nassauische Landtag, S. 326.
- Vgl. ebd.
- Vgl. Historische Kommission für Nassau: Nassauische Parlamentarier, S. XVIf. sowie Lengemann: MdL Hessen, S. 19.
- Vgl. Historische Kommission für Nassau: Nassauische Parlamentarier, S. XIII.
- Vgl. ebd., S. XV sowie Lengemann: MdL Hessen, S. 19.
- Vgl. Lengemann: MdL Hessen, S. 19.
- Vgl. Historische Kommission für Nassau: Nassauische Parlamentarier, S. XXI.
- Vgl. ebd., S. XIII.
- Vgl. ebd., S. XVIf.
- Vgl. ebd., S. XX.
- Vgl. Schüler: Nassauische Landtag, S. 327f.
- Vgl. ebd., S. 328.
- Vgl. ebd.
- Vgl. ebd., S. 329.
- Vgl. ebd.
- Vgl. ebd.
- Vgl. Schüler, Winfried: Nassauische Parlamentsdebatten, Bd. 2: Revolution und Reaktion 1848-1866, Wiesbaden 2010, S. 12.
- Vgl. ebd., S. 12f.
- Ausführlich zur Machtbalance zwischen Regierung, Herzog und Landtagen sowie zu Konflikten und Themen der Landtage der Reaktionszeit vgl. Schüler: Nassauische Landtag, S. 330-341 sowie ebd., S. 12-18.
- Vgl. Lengemann: MdL Hessen, S. 20.