Freie Stadt Frankfurt: Details
Von Dr. Katrin Wülfing
Verfassung und Verfassungsorgane
Der Sieg über Kaiser Napoléon I. in der „Völkerschlacht“ bei Leipzig beendete 1813 Frankfurts Status als Hauptstadt des „Musterstaats“ Großherzogtum Frankfurt und ermöglichte der Stadt die Rückkehr zur Selbstständigkeit. Auf dem Wiener Kongress beschlossen die Alliierten 1815, Frankfurt seine Souveränitätsrechte zurück zu übertragen; die Stadt hieß fortan „Freie Stadt Frankfurt“.1 1816 erhielt Frankfurt mit der „Konstitutions-Ergänzungs-Akte“ eine Überarbeitung der Verfassung, die stark an altständische Modelle anknüpfte und nur wenige liberale Elemente beinhaltete. Das Frankfurter Bürgerrecht war an Vermögens- und Einkommensnachweise gebunden, die in dieser Höhe nur wenige Bürger vorweisen konnten und entsprechend einen Großteil der Bevölkerung von der Teilnahme am städtischen politischen Leben ausschlossen.2 Trotz Anknüpfung an die reichsständischen Traditionen sah die neue Verfassung auch ein repräsentatives Regierungssystem mit drei zentralen Verfassungsorganen vor: Senat (auch: Frankfurter Regierung oder Rat), Gesetzgebender Versammlung (auch: Gesetzgebender Körper) und Ständiger Bürgerrepräsentation (auch: Bürgerausschuss).3
a) Der Senat
Der Senat bestand aus 42 Mitgliedern, die auf Lebenszeit gewählt wurden und in drei Bänke unterteilt waren: die 14 Älteren Senatoren (auch: Schöffen), die 14 Jüngeren Senatoren (auch: Senatoren) und die 14 Ratsverwandten.4 Wer zur ersten Senatsbank, der Bank der Schöffen gehörte, wurde nach einem auf Anciennität (Dienstalter / Zugehörigkeitsdauer) beruhenden Prinzip bestimmt. Die zweite Bank, die Bank der Senatoren, bestand vorwiegend aus Kaufleuten und Juristen. Sie – und die Mitglieder der dritten Bank, zu der primär Handwerker gehörten – wurden durch ein komplexes Wahlverfahren bestimmt.5 Der Senat wählte hierbei in geheimer Wahl sechs Vertreter, die in einem Gremium mit sechs Vertretern der gesetzgebenden Versammlung zusammentraten. Sie wiederum bestimmten zusammen in offener Wahl und mit absoluter Mehrheit drei Kandidaten, die die laut Verfassungsergänzung vorgeschriebenen Kriterien erfüllten. Die Kandidaten mussten demnach seit mindestens zehn Jahren das Frankfurter Bürgerrecht besitzen – Voraussetzung dafür war wiederum das o. g. Vermögen und die christliche Religion – und seit mindestens dieser Zeit ununterbrochen in Frankfurt wohnen. Weiterhin mussten sie 30 Jahre oder älter sein und durften keine andere Staatsangehörigkeit besitzen. Auch die Zugehörigkeit zu Berufsgruppen war genau geregelt. Unter den drei vom Wahlgremium ausgewählten Kandidaten wurde in geheimer Stichwahl – der so genannten Kugelung – ein Kandidat ausgewählt. Diese Wahl fand in einer Senatssitzung statt, wobei Repräsentanten der gesetzgebenden Versammlung anwesend sein mussten.6
Intern teilte sich der Senat zusätzlich auf: Weil eine Trennung von Justiz und Verwaltung – und damit eine Gewaltentrennung – nicht vorgesehen war, umfasste der Senat Rechtsgelehrte, die zugleich für die Rechtsprechung zuständig und Teil der Gerichtsbarkeit waren. Daneben existierte außerdem ein Verwaltungsrat (auch: engerer Senat oder innerer Senat), der für die Abwicklung der Verwaltung zuständig war.7
Im Senat bündelte sich die eigentliche Macht:8 Ihm oblag neben der Führung der Stadt- und Justizverwaltung die exekutive Gewalt und Wahl der beiden Stadtoberhäupter – dem Älteren Bürgermeister (gewählt aus der Schöffenbank) und dem Jüngeren Bürgermeister (gewählt aus der Senatorenbank). Der Ältere Bürgermeister hatte den Vorsitz im Senat inne und war verantwortlich für das Militärwesen und die auswärtigen Beziehungen. Dem Jüngeren Bürgermeister oblag die Leitung der Polizei, der Bürgerrechtsangelegenheiten und des Zunftwesens.9
b) Die Gesetzgebende Versammlung
Die Gesetzgebende Versammlung umfasste insgesamt 85 Mitglieder: 20 Mitglieder des Senats, eine gleiche Anzahl von Mitgliedern der Ständigen Bürgerrepräsentation, 45 aus Mitte der übrigen Bürgerschaft gewählten Personen und neun Abgeordneten der Landgemeinden. Letztere hatten nur dann Entscheidungskompetenzen, wenn ihre Angelegenheiten betroffen waren. Senat und Ständige Bürgerrepräsentation wählten zu jeder der jährlich stattfindenden Gesetzgebenden Versammlung ihre Mitglieder. Die aus der Mitte der übrigen Bürgerschaft zu wählenden Personen wurden in einem Wahlmännerkollegium bestimmt, das wiederum von sämtlichen christlichen Bürgern in drei Klassen gewählt wurde.10 Von Gleichheit geleitet waren diese Wahlen kaum: Juden und Frauen waren von der Wahl ausgeschlossen, ebenso alle Personen, die nicht die o. g. Bürgerrechte besaßen, also nicht vermögend waren.
Die Gesetzgebende Versammlung wurde jährlich im November vom Älteren Bürgermeister für eine sechswöchige Session einberufen. Sie wählte dann aus ihren Senats-Mitgliedern ihren Präsidenten und aus den restlichen Mitgliedern dessen Vertreter.11
Die Hauptaufgabe der Gesetzgebenden Versammlung bestand in der Schlichtung zwischen Senat und Bürgerrepräsentation. Sie war zudem an legislativen Maßnahmen, am Abschluss von Staatsverträgen und der Festsetzung von Steuern beteiligt. Doch ihre Kompetenzen waren stark begrenzt; so besaß sie kein Petitionsrecht, durfte auf eigene Initiative keine Gesetze einbringen und wies durch die Tagung in nichtöffentlichen Sitzungen mangelhafte Transparenz auf.12
c) Die Ständige Bürgerrepräsentation
Die Ständige Bürgerrepräsentation setzte sich aus 61 Mitgliedern (bis 1821 aus 51), die für mindestens fünf Jahre in den Dienst des Gremiums treten mussten, zusammen. Unter ihnen mussten sich sechs Rechtsgelehrte befinden, aus deren Reihen ein Konsulent bestimmt wurde. Zusätzlich wählten die Mitglieder alle drei Jahre aus ihren Reihen den Senior.13 Die Wahl neuer Mitglieder der Ständigen Bürgerrepräsentation geschah durch ein Gremium aus zwölf Männern: Sechs von ihnen wurden von der Ständigen Bürgerrepräsentation bestimmt, die übrigen sechs von den Mitgliedern der Gesetzgebenden Versammlung (diese durften nicht zugleich Mitglied im Senat sein).14
Gegenüber dem Senat besaß die Ständige Bürgerrepräsentation eine schwache Position und wenige Kompetenzen, die nicht mit denen eines heutigen Parlaments zu vergleichen sind. Ihnen oblag es primär, die städtischen Finanzen zu kontrollieren und über die Einhaltung der Verfassungsgrundsätze zu wachen. Entsprechend dieser Kompetenzen waren neun Mitglieder der Ständigen Bürgerrepräsentation Mitglieder im Stadtrechnungsrevisionskollegium, einer Art Verbindung von parlamentarischem Rechnungsprüfungsgremium und Rechnungshof.15
In allen drei Gremien – Senat, Gesetzgebender Versammlung und Ständiger Bürgerrepräsentation – dominierte die städtische Elite: wohlhabende Kaufleute, Bankiers und Adel, deren Interessen nicht deckungsgleich mit der Mehrheitsbevölkerung waren.16
Revolution von 1848/49 und Revision der Verfassung
Bereits 1833 machten sich in Frankfurt mit dem so genannten „Frankfurter Wachensturm“ erste revolutionäre Entwicklungen bemerkbar. In Burschenschaften organisierte Studenten machten ihrem Unmut über den verhassten Deutschen Bund deutlich, indem sie im April 1833 die Frankfurter Polizei-Hauptwache und Konstablerwache stürmten. Frankfurt, seit 1815 Sitz der Bundesversammlung, war bewusst für diesen frühen Umsturzversuch gewählt worden, der jedoch letztlich scheiterte.17
Frankfurt wurde – wie fast alle europäischen Staaten – seit Anfang 1848 von einer Revolution erfasst, die von den so genannten Märzforderungen begleitet wurde: Pressefreiheit, Vereins- und Versammlungsfreiheit, Agrarreformen und Gewerbeschutz wurden gefordert, vor allem aber strebte das liberale Bürgertum nach einer nationalen Einheit und einer freiheitlichen Gesamtverfassung. Eine Besonderheit bestand in Bezug auf Frankfurt darin, dass in der Stadt am 18. Mai 1848 die erste deutsche Nationalversammlung in der Paulskirche eröffnet wurde. Von Frankfurt wurden dabei zwölf Vertreter ins Vorparlament übersandt.18
Die in der auf der städtischen Volksversammlung beschlossenen Forderungen, u. a. Presse- und Vereinsfreiheit sowie wirtschaftliche und militärische Reformen, wurden im März an den Senat übergeben, der diesen zustimmte. Gleichzeitig regten sich Überlegungen bezüglich einer Verfassungsreform. Im August 1848 beschloss der Senat die Wahl eines Verfassungsausschusses, der wiederum am 2. September 1848 die Einberufung einer Verfassunggebenden Versammlung festlegte. Via Volksabstimmung wurde im gleichen Monat der Paragraf beseitigt, der die Änderung einer Verfassung verhinderte. Im Herbst verkündete Übergangsbestimmungen sorgten dafür, dass Senat und Ständige Bürgerrepräsentation ihre Tätigkeiten weiterführten, während die Kompetenzen der Gesetzgebenden Versammlung auf die neu begründete Verfassunggebende Versammlung übertragen wurden. Diese beschloss am 3. Dezember 1849 eine Verfassung, über die wiederum per Volksabstimmung entschieden werden sollte. Der Senat verhinderte, ganz im Zeichen des sich immer stärker abzeichnenden Sieges der restaurativen Mächte, jedoch die Abstimmung und blockierte bis Anfang der 1850er-Jahre eine Revision der Verfassung.19
Eine zentrale Neuordnung von Verfassungsorganen, Justiz und Verwaltung trat schließlich mit dem „Organischen Gesetz“ von November 1856 ein, das Justiz und Verwaltung trennte. Der Senat wurde auf 21 Mitglieder – von denen vier Syndiken und mindesten vier Handwerker sein mussten – verkleinert; die Einteilung in Bänke entfiel. Die Gesetzgebende Versammlung bestand nun aus 57 von der städtischen Bürgerschaft, elf von den Landgemeinden und 20 von der Ständigen Bürgerrepräsentation gewählten Deputierten.20
Preußische Annexion und Folgen
Die neuen, deutlich moderneren, Repräsentationsregelungen hatten nicht lange Bestand. Im Sommer 1866 besetzten preußische Truppen in Folge des preußisch-österreichischen Krieges Frankfurt. Anders als in Kurhessen und Nassau rührte sich hier reger Widerstand. Die Freie Stadt Frankfurt, die im Krieg neutral geblieben war, zeigte sich unwillig, sich auf die Seite Preußens zu stellen und sah sich in der Folge drastischen Repressionen (Einquartierungen und Requisitionen) ausgesetzt.21 Das Militärkommando veranlasste unmittelbar nach der Besatzung der Stadt die Auflösung von Senat und Bürgervertretungen, setzte den auf Preußen vereideten Senat jedoch kurze Zeit später wieder ein. Am 8. Oktober 1866 wurde die Annexion der Freien Stadt Frankfurt an Preußen vollzogen.22 Es folgte die Neugliederung: Aus dem Herzogtum Nassau und der Freien Stadt Frankfurt am Main wurde der preußische Regierungsbezirk Wiesbaden, zusammen mit dem ehemaligen Kurfürstentum Hessen bildete dieser seit 1867 die preußische Provinz Hessen Nassau – mit Kassel als Provinzhauptstadt.23
Tagungsort | Frankfurt am Main |
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Laufzeit | 1817 bis 1866 |
Anzahl der Abgeordneten | wechselnd / unterschiedlich je nach Kammer |
Ein- oder Mehrkammersystem | drei Kammern (Senat, Ständige Bürgerrepräsentation und Gesetzgebende (später: Verfassunggebende) Versammlung) |
Wahlsystem | indirekt, ständisches Repräsentativsystem |
- Vgl. Lengemann, Jochen: MdL Hessen 1808-1996. Biografischer Index, Marburg 1996, S. 20.
- Vgl. Kroll, Frank-Lothar: Geschichte Hessens, München 2006, S. 61. Zudem war die Teilhabe an die christliche Religion gebunden, wodurch sich bspw. ein Ausschluss von Juden aus dem politischen Leben ergab; vgl. hierzu auch: Weber, Matthias: Verfassung und Reform in Vormärz und Revolutionszeit. Die konstituierende Versammlung des Freistaats Frankfurt 1848-1850, Unveröffentlichte Dissertation, Johann-Wolfgang-Goethe-Universität Frankfurt am Main 1996, S. 14-21.
- Vgl. Lengemann: MdL Hessen, S. 20.
- Vgl. ebd.
- Vgl. ebd.
- Vgl. Weber: Verfassung und Reform, S. 20ff., Lengemann: MdL Hessen, S. 20f. sowie Gesetz- und Statuten-Sammlung der freien Stadt Frankfurt, Bd. 1, Jahrgang 1816-1817, Frankfurt 1817, online abrufbar unter: https://books.google.de/books?id=tcxDAAAAcAAJ&pg=PA7#v=onepage&q&f=false (Stand: 27.11.2019).
- Vgl. Weber: Verfassung und Reform, S. 22.
- Vgl. Kroll: Geschichte Hessens, S. 61.
- Vgl. Weber: Verfassung und Reform, S. 22ff.
- Vgl. Lengemann: MdL Hessen, S. 21.
- Vgl. ebd.
- Vgl. Kroll: Geschichte Hessens, S. 61 sowie vgl. Schwemer, Richard: Geschichte der Freien Stadt Frankfurt a. M. (1814-1866), Bd. 1, Frankfurt a. M. 1910, S. 317ff.
- Vgl. Lengemann: MdL Hessen, S. 21.
- Vgl. Gesetz- und Statuten-Sammlung der freien Stadt Frankfurt, Bd. 1, Jahrgang 1816-1817, Frankfurt 1817, online abrufbar unter: https://books.google.de/books?id=tcxDAAAAcAAJ&pg=PA7#v=onepage&q&f=false (Stand: 27.11.2019).
- Vgl. Kroll: Geschichte Hessens, S. 61 sowie Lengemann: MdL Hessen, S. 21.
- Vgl. Kroll: Geschichte Hessens, S. 61.
- Vgl. Schenk, Hans: Der Frankfurter Wachensturm 1833, in: Böhme, Klaus / Heidenreich, Bernd (Hrsg.): Hessen 1848. Zur Vorgeschichte der Revolution, Wiesbaden 1998, S. 41-52, hier: S. 50.
- Vgl. Kroll: Geschichte Hessens, S. 63.
- Vgl. Lengemann: MdL Hessen, S. 22.
- Vgl. ebd.
- Vgl. Kroll: Geschichte Hessens, S. 66.
- Vgl. Lengemann: MdL Hessen, S. 22.
- Vgl. Kroll: Geschichte Hessens, S. 67.