Fürstentum Waldeck: Details
Von Dr. Katrin Wülfing
Entwicklung einer Verfassung für Waldeck
Als nach der Niederlage des französischen Kaisers Napoléon I. in der „Völkerschlacht“ bei Leipzig die Siegermächte den Wiener Kongress einberiefen, um über eine Neuordnung Europas zu beraten, wirkten sich die dortigen Verfassungsdiskussionen auch auf das zwischen den preußischen Provinzen Hessen-Nassau und Westfalen gelegene Fürstentum Waldeck aus.1 Bereits 1814 hatte Fürst Georg Heinrich versucht, die Modernisierung von Regierung und Verwaltung via Organisationsedikt umzusetzen, scheiterte jedoch am Widerstand der „alten“ waldeckischen Stände. Angeführt von Carl Friedrich Freiherr von Dalwigk bewirkten diese nicht nur, dass die staatsrechtliche Vereinigung von Waldeck und Pyrmont in einem Staat zurückgenommen wurde, es gelang ihnen auch durchzusetzen, dass die 1814 und 1815 einberufenen Landtage nach altem Recht stattfanden.2 Im Schatten des Wiener Kongresses wagte Fürst Georg Heinrich 1815 den erneuten Versuch, eine moderne Verfassung zu oktroyieren. Er beabsichtigte, die, ohne Zustimmung der Stände erarbeitete, Verfassung den alliierten Mächten in Wien vorzulegen und von ihnen sanktionieren zu lassen; ein Aufbegehren der waldeckischen Stände wäre damit unmöglich gewesen.3 Eine staatsrechtliche Vereinigung des Fürstentums Waldeck mit der Grafschaft Pyrmont, die seit 1625 in Personalunion verbunden waren und unter demselben Monarchen eigenständige administrative und politische Strukturen entwickelten,4 war jedoch in der neuen Verfassung auf Grund der Erfahrungen der Vergangenheit nicht vorgesehen.5 Inspiriert von den etwa zeitgleich entstandenen landständischen Verfassungen des Herzogtums Nassau und dem Verfassungsentwurf für das Königreich Württemberg schlug der mit der Ausarbeitung beauftragte Justizrat Christian Varnhagen eine Verfassung vor, die die Grundsätze einer Gesamtrepräsentation und die landständischen Rechten berücksichtigte. Der Entwurf war zugleich eine gesellschaftskritische Auseinandersetzung mit den altständischen Vertretungskörperschaften.6
Die Ausarbeitung der Verfassung dauerte länger, als es Fürst Georg Heinrich geplant hatte; der Wiener Kongress war inzwischen zu einem Abschluss gelangt, so dass die Sanktionierung der Verfassung nicht mehr möglich war. Zugleich betonten Gutachten rechtliche Bedenken hinsichtlich der Nichtberücksichtigung der Landstände bei der Ausarbeitung der Verfassung, so dass sich der Monarch schließlich Ende 1815 veranlasst sah, den Adjunkten des Landsyndikus‘ damit zu beauftragen, die Haltung der Landstände zur geplanten Verfassung zu eruieren und seinen Widerstand gegen eine Einbeziehung der Landstände damit letztlich aufgab.7 Die schließlich am 19. April 1816 unterzeichnete „Landständische Verfassungs-Urkunde für das Fürstenthum Waldeck“ kam den Vorstellungen der Landstände erheblich entgegen, bewahrte einen Großteil ihres Einflusses und modernisierte die Stände nur in geringem Umfang.8 Damit stehen die Entwicklungen im Fürstentum Waldeck beispielhaft für die restaurative Periode, die die Mitglieder des Deutschen Bundes – zu denen sich auch Waldeck zählte – seit 1815 erfasste und die die Modernisierungsbemühungen der Jahre zuvor negierte.9
Personelle Zusammensetzung der Landstände
Gemäß Verfassung sollte die Landstandschaft aus den Besitzern der bisherigen landtagsfähigen Rittergüter, aus Vertretern der Städte und – darin bestand eine wesentliche Neuerung des Regelwerkes – zehn Repräsentanten des Bauernstandes gebildet werden. Paragraf 13 der Verfassung regelte Details zur Zusammensetzung der Landstände: Die zu wählenden Repräsentanten sollten zu einer der christlichen Konfessionen zählen, mindestens 25 Jahre alt, eigenen Rechtens, Landesuntertan und der Militärpflicht nicht mehr unterworfen sein. Zudem sollten die Repräsentanten lesen und schreiben können und ein Mindestvermögen von liegenden Gütern im Wert von 500 Talern oder mindestens 30 Morgen großen Gutes besitzen. Für die Vertreter der Bauernschaft galt, dass diese den Landbau nicht selbst betreiben mussten.10 Die Verfassung begünstigte damit die Rolle des Adels, der dominierend in den Landständen vertreten war und an alten Traditionen festhielt.11
Nicht explizit in die Verfassung aufgenommen wurden die Grundsätze der Gesamtrepräsentation und des freien Mandates, jedoch sah man in Paragraf 26 die Vereidigung der Repräsentanten auf das „allgemeine Wohl des Landes“ vor. Umsetzung erfuhr dieses Prinzip kaum, denn wirtschaftliche Eigeninteressen und Bewahrung des eigenen Vorteils prägten die landständischen Entscheidungen.12
Um personelle Stabilität zu garantieren und damit den „alten“ Ständen, die der Aufnahme des Bauernstandes ablehnend gegenüberstanden, entgegenzukommen, wurde die Wahl der Repräsentanten auf Lebenszeit festgelegt. Auch die landständischen Tagesgeschäfte wurden durch eine auf Lebenszeit gewählte Deputation – eine Art „kleinem Parlament“ – geführt.13 Diese setzte sich aus zwei Vertretern der Ritterschaft, den drei deputierten Ständen und einem Repräsentanten des Bauernstandes zusammen. Anhand der Zusammensetzung der Deputation zeigt sich beispielhaft, wie groß die Beharrungskräfte der waldeckischen Eliten waren, die sich einer Steigerung des Einflusses des Bauernstandes systematisch widersetzten.14
Organisation, Aufgaben und Kompetenzen
Auch hinsichtlich ihrer Organisation knüpften die neuen waldeckischen Landstände an tradierte Muster an. Die Art der Abstimmung unterschied sich nur im Detail von altständischen Vorgehensweisen: Beibehalten wurde etwa das Prinzip der Geheimhaltung und so die Chance auf Aktivierung der Bevölkerung vergeben; auch die Bedeutung des Landsyndikus bei Meinungsbildungsprozessen blieb unangetastet, er konnte beispielsweise entscheiden, Abstimmungen zu Sachfragen nicht durchzuführen und verfügte über ein Informationsmonopol gegenüber seinen Verhandlungspartnern.15
Eine Besonderheit bestand in den Regelungen zur Häufigkeit der Einberufung der Landstände, die – im Gegensatz zu anderen Staaten – in Waldeck sehr begrenzt wurden. Nur in besonders wichtigen Fällen (bspw. bei Verfassungsänderungen) sollte auf landesherrliche Veranlassung oder auf Antrag der Stände eine allgemeine Landesversammlung einberufen werden.16 Die Zusammenkünfte der Landstände bedurften stets der Zustimmung des Monarchen, ein Selbstversammlungsrecht besaßen die Landstände nicht. Aus diesem Grund ist es nicht verwunderlich, dass die waldeckischen Landtage zwischen 1816 und 1848 nur fünf Mal zusammenkamen.17 Auch die Größe der Landstände – mit teilweise über 40 Repräsentanten kann im Vergleich zu anderen Parlamenten dieser Zeit von einer gewissen „Schwerfälligkeit“ des Parlaments ausgegangen werden18 – erschwerte persönliche Zusammenkünfte. Beschlüsse wurden vorwiegend im schriftlichen Verfahren gefasst.19
Die Aufgaben der Landstände erstreckten sich vorwiegend auf den steuerlichen und rechtlichen Bereich. So oblag es ihnen, über Steuerangelegenheiten zu entscheiden, sie verwalteten die Landeskassen und mussten ihre Einwilligung bei verschiedenen Gesetzesvorhaben geben, sofern diese in Kraft treten sollten (bspw. Gesetze, die die Landesverfassung betrafen). Als Konsequenz aus den Streitigkeiten um den Verfassungsentwurf von 1814 hatten Fürst und Regierung gegenüber den Landständen etliche Zugeständnisse gemacht, die zusammen mit den Modernisierungsbemühungen nun in einer ungewöhnlichen Mischung von altständischen und liberalen Konzepten mündeten,2020 stets jedoch auf die Fortsetzung älterer Verfassungstraditionen verwiesen.21
Und Pyrmont?
Im April 1815 legte Fürst Georg Heinrich die Einführung einer landständischen Verfassung für Pyrmont fest. Die Beratungen verzögerten sich, weil in Waldeck ab 1818 Überlegungen hinsichtlich einer staatsrechtlichen Vereinigung Waldecks mit Pyrmont aufkamen. Bereits bei den ersten Verfassungsberatungen 1814 hatten sich Waldeck und Pyrmont nicht nur gegen den Zusammenschluss ausgesprochen, sie wollten auch die angedachte Beteiligung Pyrmonts an den waldeckischen Landständen nicht verwirklichen. Auf Grund dieser Ablehnung und weiterer Erwägungen, die die Unterschiedlichkeit der beiden Staaten betrafen, gewann in der verfassungspolitischen Diskussion die Auffassung, Pyrmont benötige eine eigene Verfassung, an Bedeutung. Dass es vorläufig keine Verfassung für Pyrmont gab, lag schließlich primär in steuerlichen Regelungen begründet.22
Verfassungsänderungen und die Auswirkungen auf die Landstände
Angestoßen durch Diskussionen um das waldeckische Steuerwesen, entwickelte sich 1824 eine Petitionsbewegung, die bald die Verfassung in den Blick nahm und Änderungen forderte. Kritisiert wurde die ungleichmäßige Repräsentation in den Landständen sowie die Machtstellung der Ritterschaft und deputierten Stände in der landständischen Deputation. Bemängelt wurden daneben auch Fragen der Gerichtsbarkeit und Wirtschaft.23 Die Regierung erkannte die Unzufriedenheit und das wachsende Misstrauen der Bevölkerung gegenüber den Landständen und den Staat und sah die Notwendigkeit, die Verfassung zu reformieren. Sie leitete die Beschwerden an die Landstände weiter und veranlasste die Beratung in Ausschüssen; im März 1825 stimmten die vom Fürsten einberufenen Landstände schließlich über die Verfassungsänderungen ab. Trotz des Widerstandes der deputierten Stände gelang es, eine gleichberechtigte Repräsentation der Stände in den Landtagen und der Deputation einzuführen; neu war auch ihre Wahl auf sechs Jahre (zuvor: lebenslanges Mandat). Nicht durchsetzen konnten sich Monarch und Regierung bezüglich der Teilnahme eines Pyrmonter Landstandes an zukünftigen Deputationstagen, so dass die dortige Situation unverändert blieb.24
Die Kritik an der Verfassung verstummte nicht dauerhaft. Wirtschaftliche Probleme, eine Auswanderungswelle und Rückwirkungen der französischen Julirevolution auf die Mitglieder des Deutschen Bundes bildeten die Rahmenbedingungen für Forderungen nach erneuten Verfassungsreformen.25 Diskussionen zu gesellschaftlichen und politischen Fragen erreichten immer mehr Bürger und verschiedenste Berufszweige, insbesondere das waldeckische Bildungsbürgertum wies mit großer Deutlichkeit auf die Notwendigkeit von Veränderungen der Verfassung und die Rückständigkeit Waldecks – etwa in Verkehrs- und Handelsfragen – hin.26 Der Tod Fürst Georg Heinrichs 1845 und die Übernahme der Regentschaft durch seine Frau, Fürstin Emma, beruhigten die politischen und gesellschaftlichen Entwicklungen nicht; die konservative und nicht modernisierungsgewillte Beamtenschaft konnte ihre Position weiter festigen, während sich die Stimmung in der Bevölkerung nicht beruhigte.27 Als 1846/47 eine Agrarkrise, gefolgt von einer allgemeinen Versorgungskrise, auftrat, zeigten sich die ersten Vorboten einer Revolution, die zunehmend an Dynamik gewannen.
Tagungsort | Arolsen28 |
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Laufzeit | 1816 bis 1848, insgesamt tagten die Landstände fünf Mal: 1816, 1825, 1828, 1830 und 1848.29 |
Anzahl der Abgeordneten | wechselnd |
Ein- oder Zweikammer | zwei Kammern: Landstände und Deputation |
Wahlsystem | indirekt, ständisches Repräsentativsystem |
- Vgl. Scriba, Arnulf: Das Fürstentum Waldeck 1815-1848. Politische, wirtschaftliche und soziale Konflikte eines Kleinstaates im Vormärz, Bad Arolsen 2007, S. 85.
- Vgl. Lengemann, Jochen: MdL Hessen 1808-1996. Biografischer Index, Marburg 1996, S. 16.
- Vgl. Scriba: Fürstentum Waldeck, S. 85.
- Diese unterschieden sich im Vormärz deutlich voneinander: Während die Grafschaft Pyrmont bis 1848/49 keine eigene landständische Vertretung gegenüber den Landesherren aufwies, war eine solche im Fürstentum Waldeck vorhanden; vgl. Lengemann: MdL Hessen, S. 15f.
- Vgl. Scriba: Fürstentum Waldeck, S. 86.
- Vgl. ebd., S. 90.
- Vgl. ebd., S. 98f.
- Vgl. Lengemann: MdL Hessen, S. 16.
- Vgl. Menk, Gerhard: Waldecks Beitrag für das heutige Hessen, 2. Aufl., Wiesbaden 2001, S. 63f.
- Vgl. Scriba: Fürstentum Waldeck, S. 104f.
- Vgl. Seibel, Thomas: Die Waldeckischen Landstände im Vormärz, Frankfurt am Main 1997, S. 205.
- Vgl. Scriba: Fürstentum Waldeck, S. 104f.
- Vgl. Seibel: Waldeckische Landstände, S. 292.
- Vgl. Scriba: Fürstentum Waldeck, S. 106.
- Vgl. Seibel: Waldeckische Landstände, S. 292.
- Vgl. Scriba: Fürstentum Waldeck, S. 105.
- Vgl. Seibel: Waldeckische Landstände, S. 55.
- Vgl. ebd., S. 205.
- Vgl. Lengemann: MdL Hessen, S. 16.
- Vgl. Scriba: Fürstentum Waldeck, S. 107.
- Vgl. Menk: Waldecks Beitrag, S. 62.
- Vgl. Scriba: Fürstentum Waldeck, S. 110.
- Vgl. ebd., S. 129f.
- Vgl. ebd., S. 136f.
- Vgl. Menk: Waldecks Beitrag, S. 69.
- Vgl. ebd., S. 70 und S. 74.
- Vgl. ebd., S. 79f.
- Vgl. bspw. Scriba: Fürstentum Waldeck, S. 136.
- Vgl. Seibel: Waldeckische Landstände, S. 55.