Großherzogtum Frankfurt: Details
Von Dr. Katrin Wülfing
Verfassung für den „Modellstaat“
Mit der Auflösung des Heiligen Römischen Reiches und dem Beitritt zum Rheinbund verlor Frankfurt seine Reichsunmittelbarkeit. Mit der Rheinbundakte vom 12. Juli 1806 übergab Kaiser Napoleon I. Frankfurt an den letzten Mainzer Erzbischof und Kurfürsten Carl Theodor von Dalberg, dessen Herrschaft nun die Fürstentümer Regensburg und Aschaffenburg sowie die Grafschaft Wetzlar umfasste. 1810 kam es zu größeren Gebietsveränderungen, als Dalberg das Fürstentum Regensburg an das Königreich Bayern abtreten musste, im Gegenzug aber die Fürstentümer Hanau und Fulda erhielt. Die Stadt Wetzlar blieb eine Enklave des nun in „Großherzogtum Frankfurt“ umbenannten Gesamtstaats. Das Großherzogtum wurde zudem in die Erbfolge der kaiserlichen Familie Napoleons gestellt. Eugčne Beauharnais, Stiefsohn Napoleons, wurde als Nachfolger Dalbergs designiert.1
Wie das Königreich Westphalen sollte das Großherzogtum Frankfurt zu einem „Musterstaat“ gegenüber anderen Rheinbundstaaten werden. Am 16. August 1810 erhielt es eine am westphälischen Vorbild orientierte Verfassung, in der wichtige Reformen nach französischem Vorbild verankert wurden. Hierzu zählten die Einführung des Code Civil, der die Gleichheit der Bürger vor dem Gesetz festschrieb, und die Aufhebung der Leibeigenschaft.2 Dalberg ernannte drei Ressortminister für das Großherzogtum und gliederte den neuen Staat in die Departements Frankfurt (mit Wetzlar), Aschaffenburg, Fulda und Hanau. Jedes Departement erhielt einen Präfekten als Verwaltungschef.3
Personelle Zusammensetzung und Organisation der Reichsstände
Spiegelbildlich zu den politischen Veränderungen im Königreich Westphalen wurde dem Regenten ein unabhängiges Legislativorgan an die Seite gestellt, das von den Bürgern gewählt wurde.4 Diese Ständeversammlung, ein auf Basis eines indirekten Zensuswahlrechts konstituiertes Parlament, setzte sich aus 20 Abgeordneten zusammen, die nach französischem Vorbild in den Departements gewählt wurden und ausschließlich die sozialen Eliten des Herzogtums repräsentierten.5
Aufgaben, Kompetenzen und Arbeit der Reichsstände
Der durchaus fortschrittliche Gedanke, gewählten Bürgern ein Mitspracherecht bei der Einbringung und Verabschiedung von Gesetzen zu geben und sie dabei nur ihrem Gewissen zu unterwerfen, wurde durch verschiedene Regelungen in seiner Umsetzung beschränkt. Wie die Reichsstände im Königreich Westphalen konnte die Ständeversammlung nicht auf eigene Initiative zusammentreten und wurde von Dalberg einberufen. Auch ihre Teilhaberechte waren entsprechend zeittypischer Erwägungen begrenzt: Die Abgeordneten durften weder selbst Gesetze vorschlagen noch die Verhandlungspunkte der einzelnen Sitzungen bestimmen.6 Ihre Hauptaufgabe bestand in der Beratung von durch die Regierung entwickelten Gesetzesentwürfen.
Dies geschah in drei Fachkommissionen, deren drei Mitglieder durch die Abgeordneten gewählt wurden. Das weitere Verfahren entsprach dem des Vorbilds des Königreichs Westphalen. Die Ständeversammlung trat nur 1810 zu einer Session, die elf Tage dauerte, zusammen und beriet über insgesamt drei Gesetze.7
Warum die Ständeversammlung im Großherzogtum Frankfurt nicht häufiger zusammengerufen wurde, ist nicht eindeutig überliefert. Ein Grund könnte in der Befürchtung, die Ständeversammlung würde die definitive Einführung des Code Napoléon ablehnen, zu finden sein,8 auch ökonomische und militärische Schwierigkeiten spielten vermutlich eine Rolle. Napoleons Niederlage in der „Völkerschlacht“ bei Leipzig 1813 beendete schließlich die Existenz des Großherzogtums Frankfurt und der Ständeversammlungen. Die Gebietsteile des Großherzogtums wurden an verschiedene andere Fürstentümer und Königreiche übergeben, Frankfurt erhielt seinen Status als unabhängige („freie“) Stadt zurück.9
Rezeption
Bis heute ist die Bedeutung der westphälischen Reichsstände und der Ständeversammlung umstritten, wobei in der Rezeption die Befassung mit dem größeren und bedeutenderen westphälischen Parlament überwiegt. Während die Verfassung lange Zeit als „Gaukelstück“ oder „Täuschungsmanöver“ bezeichnet wurde und die Reichsstände als „unechtes“ Parlament tituliert wurden, betonen neuere Forschungen den wegweisenden Charakter der Reichsstände – und damit letztlich auch der Ständeversammlung – für den heutigen Landesparlamentarismus.10
Tagungsort | Frankfurt am Main |
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Laufzeit | 1810 bis 1813, die Reichsstände tagten nur einmal: 1810 |
Anzahl der Abgeordneten | 20 |
Ein- oder Mehrkammersystem | Einkammersystem |
Wahlsystem | indirektes Zensuswahlrecht |
- Vgl. Lengemann, Jochen: Parlamente in Hessen. Biografisches Handbuch der Reichsstände des Königreichs Westphalen und der Ständeversammlung des Großherzogtums Frankfurt, Frankfurt am Main 1991, S. 16 sowie Boehnke, Heiner / Sarkowicz, Hans: Geschichte Hessens. Von den Neandertalern bis zur schwarz-grünen Koalition, Wiesbaden 2017, S. 151 und Kemper, Joachim: Fürstentum Aschaffenburg / Großherzogtum Frankfurt, URL: https://www.historisches-lexikon-bayerns.de/Lexikon/F%C3%BCrstentum_Aschaffenburg_/_Gro%C3%9Fherzogtum_Frankfurt (Stand: 7.11.2019).
- Vgl. Lengemann: Parlamente in Hessen, S. 16f.
- Vgl. ebd., S. 16.
- Vgl. Lengemann, Jochen: MdL Hessen 1808-1996. Biografischer Index, Marburg 1996, S. 13.
- Vgl. Brakensiek, Stefan: Die Reichsstände des Königreichs Westphalen, in: Westfälische Forschungen. Zeitschrift des Westfälischen Instituts für Regionalgeschichte des Landschaftsverbandes Westfalen-Lippe, 53 (2003), S. 215-240, hier: S. 221.
- Vgl. Lengemann: Parlamente in Hessen, S. 21.
- Vgl. ebd., S. 28.
- Vgl. ebd., S. 31.
- Vgl. Kemper: Fürstentum Aschaffenburg / Großherzogtum Frankfurt.
- Vgl. Lengemann: Parlamente in Hessen, S. 32f. sowie Brakensiek: Reichsstände, S. 238ff.