Fürstentümer Waldeck und Pyrmont: Details
Von Dr. Katrin Wülfing
Verfassungsreformen im Zeichen der Revolution
Ausgehend von Frankreich erfasste Anfang 1848 eine Revolutionswelle Europa und führte zu zahlreichen Unruhen, Kämpfen und Kundgebungen. Von liberaler und demokratischer Seite artikulierten sich die so genannten Märzforderungen: Pressefreiheit, Vereins- und Versammlungsfreiheit, Agrarreformen und Gewerbeschutz wurden gefordert, vor allem aber strebte das liberale Bürgertum nach einer nationalen Einheit und einer freiheitlichen Gesamtverfassung. Unter dem anhaltenden Druck der Proteste stimmte der preußische König Friedrich Wilhelm IV. Beratungen für eine deutsche Einheit und die Einführung einer konstitutionellen Monarchie zu. Im Mai 1848 trat die erste frei gewählte deutsche Nationalversammlung in der Frankfurter Paulskirche zusammen. Die rund 600 Abgeordneten aus allen Staaten des deutschen Bundes verabschiedeten im Dezember des Jahres einen Grundrechtskatalog, der zahlreiche Märzforderungen aufgriff und sie in der am 27. März 1849 verabschiedeten Verfassung des Deutschen Reiches bündelte.1
Im Fürstentum Waldeck blieben gewalttätige Proteste, wie sie andernorts im Zuge der Revolution ausbrachen, weitgehend aus. Eine stark politisierte, radikal kämpfende Bürgerschaft existierte hier nicht, wenngleich sich auch im kleinen Fürstentum seit Mitte der 1840er-Jahre ein politischer und gesellschaftlicher Aufbruch abzeichnete. Petitionen, gerichtet an Regierung, Monarchin und Landstände, forderten vor allem eins: eine Reform der Verfassung. Obwohl Fürstin Emma die Radikalisierung der Proteste fürchtete und ihnen mit zügigen Zugeständnissen begegnete, standen sich Bevölkerung und Monarchin / Regierung in Bezug auf eine Verfassungsänderung nicht diametral gegenüber. Im Gegenteil nutzte die Fürstin die Aufbruchsstimmung, um die aus ihrer Sicht längst überfälligen Reformen voranzutreiben. Für den 3. April 1848 wurde der Landtag einberufen; die in Arolsen tagenden Landstände beschlossen – mit Zustimmung von Fürstin, Regierung und Landessyndikus – ein Gesetz zur Wahl von zwölf Abgeordneten, deren einzige Aufgabe die Ausarbeitung einer neuen Verfassung sein sollte.2 Jeweils zwei dieser Abgeordneten wurden indirekt durch Wahlmänner in drei städtischen und drei ländlichen Wahlkreisen gewählt. Weil beabsichtigt war, das Fürstentum Pyrmont – das in Personalunion von derselben Monarchin regiert wurde und bislang keine moderne Verfassung besaß – in die neue Verfassung einzubinden, nahmen zwei Vertreter Pyrmonts an den Beratungen teil.3
Am 23. Mai 1849 wurde die neue, nun deutlich liberalere, Repräsentativverfassung verkündet. Dieses, als „Staatsgrundgesetz“ betitelte Werk, sah unter anderem die Vereinigung Waldecks und Pyrmonts vor und beinhaltete zudem neue Regelungen zur Zusammensetzung des Landtags. Waldeck-Pyrmont erhielt einen gemeinsamen Landtag, der aus 15 Abgeordneten bestand. Diese wurden in den neu geschaffenen 15 Wahlkreisen in direkter und geheimer Wahl auf zwei Jahre bestimmt, wobei zwölf Abgeordnete aus Waldeck und drei aus Pyrmont stammten.4 Gleichzeitig ließ die neue Verfassung getrennte Staatshaushalte für Waldeck und Pyrmont bestehen, woran sich bis 1864 nichts änderte.
Spezial-Landtag des Fürstentums Pyrmont
Im Vergleich zum hoch verschuldeten Waldeck war die finanzielle Situation in Pyrmont erheblich besser, so dass das Fürstentum bei der Ausarbeitung der Verfassung Wert darauflegte, eine gesonderte Finanzverwaltung und eine eigene ständische Vertretung zu behalten. Dieser Spezial-Landtag, das erste und einzige Pyrmonter Vertretungsorgan gegenüber Regierung und Monarchen, trat im Laufe seines recht kurzen Bestehens zu über hundert Sitzungen zusammen.5 Nach Jochen Lengemann können Wahl und Zusammensetzung des Pyrmonter Landtags in drei Abschnitte unterteilt werden:
Den ersten Abschnitt kennzeichneten zwei zentrale Gesetze; zunächst das am 12. Dezember 1848 erlassene „Gesetz wegen Beratung und Errichtung eines Verfassungsgesetzes für den Staatshaushalt des Fürstenthums Pyrmont“, das vorsah, den Landtag ein Gesetz mit Verfassungsrang ausarbeiten zu lassen, das die finanzielle Selbstständigkeit des Fürstentums regeln sollte. Das zweite maßgebliche Gesetz war am gleichen Tag erlassen worden und befasste sich mit den Wahlen der Abgeordneten des Landtags. Es legte ihre Wahl in fünf Wahlkreisen fest, wobei pro Wahlkreis ein Abgeordneter gewählt wurde. Diese Repräsentanten traten vom 23. Januar bis 4. Juli 1849 in elf Sitzungen zusammen und beschlossen das am 21. Juli 1849 erlassene Verfassungsgesetz, das die Grundlage für die Zuständigkeiten des Spezial-Landtags bildete.6
Der zweite Abschnitt der Geschichte des Pyrmonter Landtags war durch das oben genannte Verfassungsgesetz geprägt. Es sah die direkte Wahl der nun acht Abgeordneten vor, wobei diese für vier Jahre gewählt wurden. Drei dieser Abgeordneten nahmen ihr Mandat im gemeinsamen Landtag für Waldeck und Pyrmont wahr, während die restlichen fünf Abgeordneten für den Pyrmonter Spezial-Landtag zuständig waren.7
Am 27. Juli 1854 begann mit der „Landtags-Ordnung für das Fürstenthum Pyrmont“ der dritte Abschnitt der Geschichte des Spezial-Landtags. Dieses Regelwerk wurde nur einmal 1859 kleineren Änderungen unterzogen und beließ die Zusammensetzung des Landtags grundsätzlich so, wie sie bereits 1849 festgelegt worden war. Neu war jedoch die nun eingeführte indirekte Wahl der Abgeordneten, die bei der Zusammensetzung des gemeinsamen Landtags von Pyrmont und Waldeck bereits praktiziert wurde. Die Wahlzeit der Abgeordneten wurde auf sechs Jahre verändert, ebenso die Aufteilung der Wahlkreise.8
Alle drei Abschnitte der Pyrmonter Landtagsgeschichte waren von einer Binnen-Autonomie der Institution gekennzeichnet. Die Einflussmöglichkeiten des Fürsten beschränkten sich auf die Eröffnung und Schließung des Landtags, während die Abgeordneten beispielsweise selbst per Wahl über ihren Landtagspräsidenten entschieden.9
Am 30. Januar 1864 wurde schließlich die vollständige Vereinigung der Finanzverwaltungen der Fürstentümer Waldeck und Pyrmont umgesetzt. Damit endete auch die partielle Eigenständigkeit Pyrmonts; das Fürstentum war nun ausschließlich im gemeinsamen Landtag mit Waldeck vertreten. Dabei blieb es, eigenständige Vertretungsorgane auf dem Gebiet des Fürstentums Pyrmont existierten fortan nur noch auf kommunaler Ebene.10
Verfassungsänderungen, Akzessionsvertrag und Folgen
Das von Einflüssen der Revolution geprägte Staatsgrundgesetz hatte den Grundrechten der Bürger besondere Beachtung geschenkt und gleichzeitig die Macht des Fürsten begrenzt. Mit Scheitern der Märzrevolution und erneutem Erstarken restaurativer Konzepte drängte Fürst Georg Victor 1852 auf eine Neugestaltung der Verfassung, die schließlich weitaus weniger liberal gestaltet wurde als ihre Vorgängerin.11 Zentrale Grundsätze blieben jedoch bestehen: Die staatsrechtliche Vereinigung Waldecks und Pyrmonts wurde weder aufgehoben noch änderte sich etwas daran, dass der Landtag das Repräsentationsorgan der Bürger blieb. Ohne seine Zustimmung, auch das blieb unangetastet, konnten formelle Gesetze und der Haushalt der Fürstentümer nicht beschlossen werden.12 Das begleitend zur neuen Verfassung verabschiedete Wahlgesetz sah hingegen kleinere Änderungen vor: Die 15 Abgeordneten des gemeinsamen Landtags von Waldeck und Pyrmont sollten fortan in neu eingeteilten Wahlbezirken durch Wahlmänner gewählt werden. Für jeden Kreis wurden vier, für Pyrmont drei, Abgeordnete auf drei Jahre gewählt.13
Nach dem preußisch-österreichischen Krieg gab Waldeck-Pyrmont 1867 mit dem Akzessionsvertrag wesentliche Rechte – u. a. die Zuständigkeit für die Verwaltung – an Preußen ab. Wenngleich oben genannte Zuständigkeiten weiterhin unberührt blieben, trat eine zentrale Änderung ein: Die 1849 ausgehandelte geheime Wahl wurde mit dem neuen Wahlgesetz aufgehoben und durch die direkte Wahl der Abgeordneten ersetzt. Bis 1919 blieb es bei diesem Prinzip.14
Auflösung des Landtags
1917 wurde der Landtag von Waldeck-Pyrmont zum letzten Mal nach den Grundsätzen von 1852 gewählt. Im Zuge der Novemberrevolution und des Zerfalls von Monarchie und Obrigkeitsstaat wurde Waldeck-Pyrmont zum Freistaat erklärt und Fürst Friedrich abgesetzt. Am 2. April 1919 wurde der Landtag förmlich aufgelöst.15
Rezeption und Forschung
Während weitgehend Konsens bezüglich der Rolle des waldeckischen Landtags in den 1850er-Jahren besteht und die Institution als Beispiel dynamischer Innenpolitik gelobt wird,16 gehen die Einschätzungen über die Rolle des Landtags nach dem Akzessionsvertrag auseinander. So betont etwa Gerhard Menk dessen entpolitisierten Charakter17 und Michael Bohle weist auf die beschnittenen Handlungsfreiheiten und damit verhinderten politischen Agitationen des Landtags seit der Akzession hin.18 Dem widerspricht Jochen Lengemann und betont die latent vorhandenen Möglichkeiten der Politisierung des Landtags, selbst wenn dieser letztlich große politische Auseinandersetzungen mit Preußen mied. Lengemann misst zudem der Auswahl der Landtagspräsidenten bei der Vertretung der waldeckischen Interessen – ebenfalls durchaus ein „Politikum“ – große Bedeutung bei.19
Waldeck-Pyrmont
Tagungsort | Arolsen |
---|---|
Laufzeit | 1849 bis 1919 |
Anzahl der Abgeordneten | 15 (12 aus Waldeck, drei aus Pyrmont) |
Ein- oder Mehrkammersystem | eine Kammer (Landtag) |
Wahlsystem | ständisches Repräsentativsystem |
Spezial-Landtag Pyrmont
Tagungsort | Pyrmont |
---|---|
Laufzeit | 1849 bis 1864 |
Anzahl der Abgeordneten | 8 |
Ein- oder Mehrkammersystem | eine Kammer (Landtag) |
Wahlsystem | ständisches Repräsentativsystem |
- Vgl. Wollstein, Günter: Vorparlament und Paulskirche, 2010, URL: http://www.bpb.de/izpb/9879/vorparlament-und-paulskirche (Stand: 19.11.2019) sowie Scriba, Arnulf: Das Fürstentum Waldeck 1815-1848. Politische, wirtschaftliche und soziale Konflikte eines Kleinstaates im Vormärz, Bad Arolsen 2007, S. 257.
- Vgl. ebd., S. 259ff.
- Vgl. König, Reinhard: Die Abgeordneten des waldeckischen Landtags von 1848 bis 1929, Marburg 1985, S. 5f.
- Vgl. ebd., S. 6f. sowie Lengemann, Jochen: MdL Hessen 1808-1996. Biografischer Index, Marburg 1996, S. 17.
- Vgl. Lengemann, Jochen: Der Spezial-Landtag des Fürstentums Pyrmont, in: Geschichtsblätter für Waldeck, 83 (1995), S. 103-154, hier: S. 107.
- Vgl. ebd., S. 108.
- Vgl. ebd.
- Vgl. ebd., S. 109.
- Vgl. ebd., S. 109f.
- Vgl. ebd., S. 111.
- Vgl. König: Abgeordneten, S. 7.
- Vgl. Lengemann: MdL Hessen, S. 17.
- Vgl. König: Abgeordneten, S. 8.
- Vgl. Lengemann: MdL Hessen, S. 17.
- Vgl. ebd.
- Vgl. Lengemann, Jochen: Die Präsidenten des Waldeckischen Landtags 1848-1929, in: Geschichtsblätter für Waldeck, 82 (1994), S. 265-334, hier: S. 267.
- Vgl. Menk, Gerhard: Grundzüge der Geschichte Waldecks in der Neuzeit. Perspektiven und Perseveranz kleinstaatlicher Politik, in: Hessisches Jahrbuch für Landesgeschichte, 37 (1987), S. 241-297, hier: S. 293f.
- Vgl. Bohle, Michael: Sozialstruktur, sozialer Wandel und politische Willensbildung im Fürstentum Waldeck 1871-1914, Arolsen 1991, S. 194.
- Vgl. Lengemann: Präsidenten, S. 267f.